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SCHWIERIGKEITEN BEI EINER AN KANT ORIENTIERTEN AUSLEGUNG DER WÜRDE DES MENSCHEN: ZUGLEICH EINE KRITISCHE BETRACHTUNG DER ENTSCHEIDUNG DES BUNDESVERFASSUNGSGERICHTS ÜBER DIE VERFASSUNGSWIDRIGKEIT DES § 14 Abs. 3 LuftSiG

DIFFICULTIES IN A KANT-ORIENTED INTERPRETATION OF HUMAN DIGNITY: SIMULTANEOUSLY A CRITICAL TREATMENT OF THE DECISION OF THE CONSTITUTIONAL COURT ON THE UNCONSTITUTIONALITY OF § 14 Abs. 3 LuftSiG

Matheus Pelegrino da SilvaI

I Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Freiburg, Alemanha. Doutor em Direito e em Filosofia. E-mail: mathpelegrino@hotmail.com

DOI: http://dx.doi.org/10.31512/rdj.v19i34.3207

Autor Convidado

Sumário: Einleitung. 1 Schutz der Menschenwürde durch das Instrumentalisierungs- und Objektifizierungsverbot in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes. 2 Kant und die Würde des Menschen. 2.1 Die Würde des Menschen und die von ihr abgeleiteten Verbote. 2.2 Faktische und vernünftige Zustimmung bei Kant. 2.3 Kants Auffassung des Notstands als Relativierung des Gebotes der Achtung der Menschenwürde. 3 Vier Varianten des Trolley-Problems und die Bedeutung dieser Experimente für die Diskussion über das Instrumentalisierungsverbot. 4 Kann der übergesetzliche Notstand den Piloten motivieren, das Flugzeug zum Absturz zu bringen? Schluβ. Literaturverzeichnis.

Zusammenfassung: In diesem Aufsatz wird anhand einiger Überlegungen Kants über die Würde des Menschen argumentiert, dass, eine Person als bloßes Mittel zu betrachten, immer bedeuten wird, eine Person als Objekt, als Nicht-Inhaber ihrer eigenen Freiheit zu betrachten, obwohl dieses Argument nicht genügt, um das Gegenteil der Verbindung zwischen der Betrachtung als bloßes Mittel und der Betrachtung als Nicht-Inhaber der eigenen Freiheit zu beweisen, denn die Handlung, die eine Person objektifiziert, ist von der Handlung zu unterscheiden, bei der eine Person als bloßes Mittel betrachtet wird. Zuerst wird erläutert, wie das Bundesverfassungsgericht den Schutz der Menschenwürde bei der Entscheidung über das Luftsicherheitsgesetz verstanden und angewendet hat. Dabei wird analysiert, welche allgemeinen Überlegungen über den Schutz der Würde des Menschen durch Instrumentalisierungsverbote und Objektformel (hier als Objektifizierungsverbot bezeichnet) in dieser Entscheidung verwendet wurden. Im zweiten Teil wird Kants Behandlung der Thematik der Würde des Menschen und der Instrumentalisierungs- und Objektifizierungsverboten dargestellt. Der Zusammenhang zwischen Angriffen auf die Menschenwürde und möglichen Notstandssituationen wird untersucht, sowie die Gründe, warum bei Kant diese Verbote nicht als absolute Verbote zu betrachten sind. Danach wird durch die Darstellung von vier Varianten des sogenannten Trolley-Problems argumentiert, dass die Entscheidung über die Verfassungswidrigkeit des § 14 Abs. 3 LuftSiG in dem Instrumentalisierungsverbot keine Begründung findet kann. Im letzten Teil wird diskutiert, welche Konsequenzen die Anwendung einer Kant inspirierte Auffassung der Würde des Menschen für die Auslegung des verfassungsrechtlichen Schutz der Menschenwürde mit sich bringt und wieweit diese Auslegungsalternative von Kants Auffassung der Instrumentalisierungs- und Objektifizierungsverbots abweicht.

Schlüsselwörter: Menschenwürde. Objektformel. Luftsicherheitsgesetz. Kant. Trolley-Problems.

Abstract: In this essay it will be argued by means of some considerations from Kant on human dignity that to treat a person as merely a means will always signify to treat a person as an object, as not-owner of her own freedom, even though this argument is not enough in order to demonstrate the opposite of the connection between the treatment as merely a means and the treatment as not-owner of her own freedom, since the action that objectifies a person needs to be distinguished from the action in which a person is treated merely as a means. Initially it will be discussed how the Constitutional Court understood and applied the protection of human dignity in the decision about the Air Security Act. In this context it will be analyze which general considerations on the protection of human dignity through the prohibition of intrumentalization and the object formula (here designated as prohibition of objectification) were employed in this decision. In the second part Kant’s treatment of the thematic of human dignity and of the prohibitions of instrumentalization and objectification will be presented. The connections between offences to human dignity and possible emergency situations will be investigated and also the reasons why in Kant’s thought these prohibitions are not to be considered as absolute prohibitions. Then through the exposition of four variants of the so called trolley problem it will be argued that the decision on the unconstitutionality of § 14 Abs. 3 LuftSiG does not find any base on the prohibition of instrumentalization. In the last part of the text the possible consequences of the employment of a Kant-inspired understanding of human dignity for the interpretation of the constitutional protection of human dignity will be discussed, and also in which extend this interpretative alternative deviates from Kant’s conception of the prohibitions of intrumentalization and objectification.

Keywords: Air Security Act. Human dignity. Kant. Object formula. Trolley-Problems.

EINLEITUNG

In einem bekannten Kommentar zu Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG („Die Würde des Menschen ist unantastbar“) schreibt Günter Dürig Folgendes: „Die Menschenwürde als solche ist getroffen, wenn der konkrete Mensch zum Objekt, zu einem bloßen Mittel, zur vertretbaren Gröβe herabgewürdigt wird” (1956, S. 127).1 Nach Dürigs Auffassung ist die Würde des Menschen verletzt, wenn ein Mensch „zum Objekt, zu einem bloßen Mittel [...] herabgewürdigt wird“. Sofern Dürigs Interpretation als Referenz für die Anwendung der Art. 1 Abs. 1 angewendet wird, sofern die Unantastbarkeit der Menschenwürde so interpretiert wird, wie er behauptet, kann man trotzdem fragen, ob der Schutz der Menschenwürde als Schutz gegen eine oder mehrere Arten von Angriffen auf sie existiert. Weiter unten wird anhand einiger Überlegungen Kants über die Würde des Menschen argumentiert, dass, eine Person als bloßes Mittel zu betrachten, immer bedeuten wird, eine Person als Objekt, als Nicht-Inhaber ihrer eigenen Freiheit zu betrachten. Aber dieses Argument genügt nicht, um das Gegenteil der Verbindung zwischen der Betrachtung als bloßes Mittel und der Betrachtung als Nicht-Inhaber der eigenen Freiheit zu beweisen. Nur weil das Instrumentalisieren einer Person die Konsequenz hat, die instrumentalisierte Person als Objekt zu betrachten, bedeutet das nicht, dass die Betrachtung einer Person als Objekt eine Instrumentalisierung bedeutet. Es ist möglich eine Person als Objekt zu betrachten, ohne dass diese Person gleichzeitig als Mittel zu einem Zweck dient. Die Handlung, die eine Person objektifiziert, die also nach Kants Auffassung die Freiheit dieser Person nicht anerkennt, ist von der Handlung zu unterscheiden, bei der eine Person als bloßes Mittel betrachtet wird.

Der Schutz der Menschenwürde war der entscheidende Grund, warum das Bundesverfassungsgericht § 14 Abs. 3 des Luftsicherheitsgesetzes (LuftSiG), das unter extremen Situationen das Abschießen von Passagierflugzeugen erlaubt, für verfassungswidrig erklärt hat. Im vorliegenden Aufsatz wird zuerst diskutiert, wie das Bundesverfassungsgericht den Schutz der Menschenwürde bei der Entscheidung über das Luftsicherheitsgesetz verstanden und angewendet hat. Dabei wird analysiert, welche allgemeinen Überlegungen über den Schutz der Würde des Menschen durch Instrumentalisierungsverbote und Objektformeln (hier als Objektifizierungsverbot bezeichnet) in dieser Entscheidung verwendet wurden. Danach wird Kants Behandlung der Thematik der Würde des Menschen und der Instrumentalisierungs- und Objektifizierungsverboten dargestellt. In diesem Kontext wird der Zusammenhang zwischen Angriffen auf die Würde des Menschen und möglichen Notstandssituationen untersucht, sowie die Gründe, warum bei Kant diese Verbote nicht als absolute Verbote zu betrachten sind. Nach diesen Überlegungen wird überprüft, ob die Entscheidung des Bundesgerichtes von einem moralischen (und von Kants Philosophie orientierte) Gesichtspunkt Unterstützung finden könnte. In einem dritten Teil wird mittels der Betrachtung von vier Varianten des sogenannten Trolley-Problems argumentiert, dass die Entscheidung über die Verfassungswidrigkeit des § 14 Abs. 3 LuftSiG in dem Instrumentalisierungsverbot keine Begründung findet kann. Anhand einiger Ergebnisse von empirischen Forschungen wird problematisiert, wie überzeugend Kants Auffassung der menschlichen Handlung ist. Im letzten Teil dieser Abhandlung wird, ausgehend von der Notion des Notstandes, zuerst hervorgehoben werden, dass § 14 Abs. 3 LuftSiG in Konflikt mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG stehen kann, obwohl eine andere Formulierung dieser Norm als eine Art lex specialis in Verhältnis mit § 35 StGB verstanden werden könnte. Dabei wird auch analysiert, wie die Annahme eines absoluten Instrumentalisierungs- oder Objektifizierungsverbots zusammen mit der Vertretung der Verfassungsmäßigkeit des § 35 StGB in Frage gestellt werden kann, und welche allgemeine Bedeutung diese Situation für die Anwendung einer kantianischen Auffassung der Würde des Menschen in Verbindung mit absoluten Verboten hat.

1 SCHUTZ DER MENSCHENWÜRDE DURCH DAS INSTRUMENTALISIERUNGS- UND OBJEKTIFIZIERUNGSVERBOT IN DER ENTSCHEIDUNG DES BUNDESVERFASSUNGSGERICHTES

Laut originaler Auffassung des § 14 Abs. 3 LuftSiG wäre die „unmittelbare Einwirkung auf“ ein „Luftfahrzeug mit Waffengewalt zulässig“, solange „nach den Umständen davon auszugehen [...] [wäre], dass das Luftfahrzeug gegen das Leben von Menschen eingesetzt werden soll, und die unmittelbare Einwirkung mit Waffengewalt das einzige Mittel zur Abwehr dieser gegenwärtigen Gefahr” (BVerfGE, 1 BvR 357/05 vom 15.2.2006, Rz. 14) sei. Zur Anwendung dieser Maßnahme wäre nach § 14 Abs. 4 „der Bundesminister der Verteidigung oder im Vertretungsfall das zu seiner Vertretung berechtigte Mitglied der Bundesregierung“ (BVerfGE, 1 BvR 357/05, Rz. 14) zuständig.

Für einen denkbaren Luftsicherheitsfall haben die Beschwerdeführer für die Verfassungswidrigkeit des § 14 Abs. 3 LuftSiG argumentiert, dass diese Vorschrift „dem Staat erlaube, vorsätzlich Menschen zu töten, die nicht Täter, sondern Opfer eines Verbrechens geworden seien“, sodass § 14 Abs. 3 LuftSiG „ihre Rechte aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 2 GG“ (BVerfGE, 1 BvR 357/05, Rz. 35) direkt verletzt.

Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsbeschwerde als begründet anerkannt. Bei der Begründung der Entscheidung wurde erwähnt, dass „[d]as Sicherheitsgesetz [...] gegen die Grundrechte der Beschwerdeführer auf Menschenwürde und Leben gemäß Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 [verstoße]. Es mache sie zum bloßen Objekt staatlichen Handelns“ (BVerfGE, 1 BvR 357/05, Rz. 37). Es wurde argumentiert, dass eine „Abwägung Leben gegen Leben“ unzulässig sei, denn „[d]er Staat dürfe Menschen nicht deswegen töten, weil es weniger seien, als er durch ihre Tötung zu retten hoffe“ (BVerfGE, 1 BvR 357/05, Rz. 38). Gegen die „Relativierung des Lebensrechts der Passagiere“ hat das Bundesverfassungsgericht hervorgehoben, dass eine solche Relativierung die Passagiere „zum bloßen Objekt staatlichen Handelns“ mache und „ihrer menschlichen Qualität und Würde“ beraube (BVerfGE, 1 BvR 357/05, Rz. 39).

Das Bundesverfassungsgericht hat auch entschieden, dass ein Luftfahrzeug abschießen verfassungsmäßig wäre, solange sich diese Maßnahme „gegen ein unbemanntes Luftfahrzeug oder gegen den- oder diejenigen richtet, denen ein solcher Angriff zuzurechnen ist“ (BVerfGE, 1 BvR 357/05, Rz. 118). Es wurde erwähnt, dass unter solchen Umständen § 14 Abs. 3 LuftSiG mit dem im Grundgesetz enthaltenen Lebensrecht Art. 2 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 vereinbar wäre (Cf. BVerfGE, 1 BvR 357/05, Rz. 140). Denn in einem solchen Fall würde der Staat das Leben der Angreifer nicht instrumentalisieren, argumentiert das Bundesverfassungsgericht, weil den Angreifern die Möglichkeit angeboten werden würde (z. B. durch Warnschüsse), ihre Absicht, das Flugzeug als Waffe zu benutzen, aufzugeben (BVerfGE, 1 BvR 357/05, Rz. 142). Der Schutz des Verfassungsrechtes auf Leben wäre durch die Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit relativiert, denn unter gewissen Bedingungen wäre es verhältnismäßig, das Leben der von den Angreifern Gefährdeten durch das Töten der Angreifer zu schützen (BVerfGE, 1 BvR 357/05, Rz. 144-145 und 149). Auch die Pflicht des Staates, die Würde der Angreifer zu achten, wäre durch das Handeln des Staates nicht verletzt. In diesem Zusammenhang muss aber bemerkt werden, dass die Tötung der Angreifer nicht als Mittel interpretiert werden darf, sondern als eine zweite Wirkung des Absturzes des Flugzeuges (dieses Argument, das sogenannte „Prinzip der Doppelwirkung”, stammt von Thomas von Aquin. Cf. AQUIN, 1953, S. 174 (2-2, q. 64 a. 7)), die nicht erwünscht aber akzeptierbar wäre. Aus diesem Grund würde das Abschießen des Flugzeuges auch keinen Verstoß gegen das Instrumentalisierungsverbot bedeuten. Darüber hinaus ist auch zu achten, dass eigentlich kein Verstoß gegen das Instrumentalisierungsverbot vorliegt, es sei denn im Flugzeug wären nicht nur die Angreifer anwesend, sondern auch unbeteiligte Passagiere. Dazu sind die weiter unten behandelten vier Varianten des Trolley-Problems zu berücksichtigen.

Das Bundesverfassungsgericht hat durch das folgende Argument signalisiert, wie die Achtung der Würde des Menschen mittels des Objektifizierungsverbots verstanden wird:

“Wer, wie diejenigen, die ein Luftfahrzeug als Waffe zur Vernichtung menschlichen Lebens missbrauchen wollen, Rechtsgüter anderer rechtswidrig angreift, wird nicht als bloßes Objekt staatlichen Handelns in seiner Subjektqualität grundsätzlich in Frage gestellt [...], wenn der Staat sich gegen den rechtswidrigen Angriff zur Wehr setzt und ihn in Erfüllung seiner Schutzpflicht gegenüber denen, deren Leben ausgelöscht werden soll, abzuwehren versucht. Es entspricht im Gegenteil gerade der Subjektstellung des Angreifers, wenn ihm die Folgen seines selbstbestimmten Verhaltens persönlich zugerechnet werden und er für das von ihm in Gang gesetzte Geschehen in Verantwortung genommen wird. Er wird daher in seinem Recht auf Achtung der auch ihm eigenen menschlichen Würde nicht beeinträchtigt” (BVerfGE, 1 BvR 357/05, Rz. 141).

Darüber hinaus wurde hervorgehoben, dass die Tötung der Angreifer keinen Verstoß gegen die Menschenwürde darstellt, weil die Angreifer „nicht als bloßes Objekt staatlichen Handelns“ behandelt werden. Dieses Argument erfolgt durch den Hinweis, dass anders als die Passagiere, die Angreifer die Möglichkeit bekommen würden, ihre Pläne aufzugeben, d.h. die Tötung der Angreifer würde nur mit einer Art von Zustimmung dieser erfolgen. Andererseits würde die Tötung der Passagiere zusammen mit den Angreifern eine Objektifizierung der Passagiere bedeuten, denn sie würden (zusammen mit ihrem Leben) ihre Freiheit verlieren, obwohl sie an der Bedrohung des Lebens anderer nicht beteiligt waren.

Bezüglich der vom Bundesverfassungsgericht ausgeübten Anwendung der Instrumentalisierungs- und Objektivizierungsverbote ist ein weiterer Aspekt zu beachten. In der Entscheidung wurde an mehreren Punkten hervorgehoben, dass das zum Absturz-Bringen des Flugzeuges einen Verstoß gegen die Würde des Menschen repräsentieren könnte, weil durch diese Handlung der Staat die Passagiere als „bloße Objekte“ behandeln würde (In der Entscheidung ist die Idee der Behandlung als Objekt achtmal erwähnt. Siehe BVerfGE, 1 BvR 357/05, Rz. 37, 39, 47, 121, 124 (zweimal), 134 und 141. Und weitere zwei Mal wird der Ausdruck “verdinglicht” verwendet. Siehe BVerfGE, 1 BvR 357/05, Rz. 124 und 134). Trotz dieser Verknüpfung der verfassungswidrigen Natur der Norm mit dem Objektifizierungsverbot wurde in einer Textstelle das Instrumentalisierungsverbot nicht nur fast ausdrücklich erwähnt, sondern auch als Synonym für Objektifizierung betrachtet:

Sie [die „Flugzeugbesatzung und -passagiere“] werden dadurch, dass ihre Tötung als Mittel zur Rettung anderer benutzt wird, verdinglicht und zugleich entrechtlicht; indem über ihr Leben von Staats wegen einseitig verfügt wird, wird den als Opfern selbst schutzbedürftigen Flugzeuginsassen der Wert abgesprochen, der dem Menschen um seiner selbst willen zukommt. (BVerfGE, 1 BvR 357/05, Rz. 124)

Angesichts dieser Äußerung ist es möglich zu behaupten, dass die Entscheidung über die Verfassungswidrigkeit des § 14 Abs. 3 LuftSiG nicht nur aufgrund einer bestimmten Auffassung des Objektifizierungsverbotes erfolgt ist, sondern auch unter Beachtung des Instrumentalisierungsverbotes. Mit dem Ziel einige Elemente der Begründung dieser Entscheidung in Frage zu stellen, sowie die Konsequenzen dieser Entscheidung für konkrete Situationen und für die Auslegung des verfassungsrechtlichen Schutzes der Menschenwürde, werden im Folgenden Themen behandelt, die in Verbindung mit der Anwendung einer kantianischen Auffassung der Menschenwürde stehen, sowie wird diskutiert, welche Auswirkungen diese Interpretation des verfassungsrechtlichen Schutzes der Menschenwürde mitsichbringen können.

2 KANT UND DIE WÜRDE DES MENSCHEN

Eine Darstellung von Kants Auffassung der Würde des Menschen involviert nicht nur die Präsentation seiner Ausführungen über die Bedeutung und Implikationen der Anerkennung der Würde des Menschen, sondern auch die Identifikation der Grenzen in Bezug auf die Achtung der Würde des Menschen. Aus diesem Grund werden zuerst Kants Argumente für die Verknüpfung des Schutzes der Menschenwürde mit den Instrumentalisierungs- und Objektifizierungsverboten dargestellt. Danach wird anhand Kants Bemerkungen über die Zustimmung und den Notstand diskutiert, welche Begrenzungen diese Achtung der Würde des Menschen aus Kants philosophischer Perspektive erfahren könnten.

2.1 Die Würde des Menschen und die von ihr abgeleiteten Verbote

In einer der bekanntesten Formulierungen der Verknüpfung der Menschenwürde2 mit dem Instrumentalisierungsverbot (und auch mit dem Objektifizierungsverbot – dazu muss angemerkt werden, dass Kant keine ausdrückliche Unterscheidung zwischen Instrumentalisierungs- und Objektifizierungsverbot durchgeführt hat, aber trotzdem ist es möglich, aufgrund Kants Argumentation über die Würde des Menschen diese Unterscheidung zu machen, denn das Objektifizierungsverbot, wie weiter unten dargestellt, wird nach seiner Auffassung das Instrumentalisierungsverbot begründen) behautet Kant Folgendes:

“Allein der Mensch als Person betrachtet, d. i. als Subjekt einer moralisch-praktischen Vernunft, ist über allen Preis erhaben; denn als solcher (homo noumenon) ist er nicht bloβ als Mittel zu anderer ihren, ja selbst seinen eigenen Zwecken, sondern als Zweck an sich selbst zu schätzen, d. i. er besitzt eine Würde (einen absoluten innern Werth), wodurch er allen andern vernünftigen Weltwesen Achtung für ihn abnötigt, sich mit jedem Anderen dieser Art messen und auf den Fuß der Gleichheit schätzen kann” (1902 ff., S. 434-435. Diese Schriften werden mit dem Ausdruck „AA“ und der Angabe des Bands und der Seite referiert.).

In diesem Absatz argumentiert Kant, dass jeder Mensch, weil er „Subjekt einer moralisch-praktischen Vernunft“ ist, „nicht bloß als Mittel zu anderer ihren, ja selbst seinen eigenen Zwecken, sondern als Zweck an sich selbst zu schätzen“ ist. Da alle Menschen die Achtung ihrer Würde verdienen, darf kein Mensch einen anderen Menschen oder sich selbst (Cf. KANT, AA VI, S. 436) bloß als Mittel betrachten. Dazu ist zu achten, dass Kant den kategorischen Imperativ auf sehr unterschiedliche Weise formuliert hat. In einer der abstrakten Formulierungen heißt es: „handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde“ (KANT, AA IV, S. 421). Darüber hinaus ist zu beachten, dass in Kants Philosophie die Fähigkeit, eine Maxime zu wollen, mit seiner Auffassung der Autonomie in Verbindung steht. Weil die Menschen Autonomie besitzen, haben sie die Möglichkeit, Maxime zu wollen oder nicht. In einer anderen Formulierung ist das Instrumentalisierungsverbot bei der Beschreibung des kategorischen Imperativs deutlich erwähnt: „Handle so, daβ du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst“ (KANT, AA IV, S. 429). Und in einer wieder anderen Formulierung ist die Idee, dass die Menschen vernünftige Wesen sind, mit dem Instrumentalisierungsverbot verknüpft: „vernünftige Wesen stehen alle unter dem Gesetz, daβ jedes derselben sich selbst und alle andere niemals bloß als Mittel, sondern jederzeit zugleich als Zweck an sich selbst behandeln solle“ (KANT, AA IV, S. 433).

Für Kant ist die Menschenwürde nicht ein Recht, auf das der Berechtigte verzichten kann, denn dieses Recht ist mit der Tatsache verbunden, dass ein Mensch ein vernünftiges Wesen ist.

“Und was ist es denn nun, was die sittlich gute Gesinnung oder die Tugend berechtigt, so hohe Ansprüche zu machen? Es ist nichts Geringeres als der Antheil, den sie dem vernünftigen Wesen an der allgemeinen Gesetzgebung verschafft und es hiedurch zum Gliede in einem möglichen Reiche der Zwecke tauglich macht, wozu es durch seine eigene Natur schon bestimmt war, als Zweck an sich selbst und eben darum als gesetzgebend im Reiche der Zwecke, in Ansehung aller Naturgesetze als frei, nur denjenigen allein gehorchend, die es selbst giebt und nach welchen seine Maximen zu einer allgemeinen Gesetzgebung (der es sich zugleich selbst unterwirft) gehören können” (KANT, AA IV, S. 435 f.).

Weil die Menschen „moralisch-praktische Vernunft“ besitzen, weil dies eine Eigenschaft der Menschen in Gegensatz zu anderen Wesen ist, die komplett von der Natur determiniert sind, besteht für alle Menschen die Pflicht, die Menschen „als Zweck an sich selbst“ zu betrachten, und das ist eine Konsequenz der Tatsache, dass die Menschen die Möglichkeit besitzen, ihre Freiheit auszuüben (über die Verknüpfung der Notion von “als Zweck an sich“ mit der Freiheit als wesentliche Eigenschaft der Menschen, siehe Sensen (2011, S. 100 ff.)). Einen Menschen bloß als Mittel zu betrachten, bedeutet in diesem Zusammenhang, einen Menschen zu behandeln, als ob er nicht die Möglichkeit hätte, seine Freiheit auszuüben und allein zu entscheiden, wie er diese Freiheit ausüben will.

In dem oben zitierten Text verbindet Kant die Menschenwürde mit zwei Verboten, dem Instrumentalisierungs- und dem Objektifizierungsverbot. Das Instrumentalisierungsverbot ergibt sich aus der in der Textstelle nicht hervorgehobenen, aber trotzdem erwähnten Tatsache, dass für Kant die Menschen vernünftige (freie) Wesen sind. Einen Menschen zu instrumentalisieren, bedeutet einen Menschen für einen Zweck einzusetzen, dem dieser Mensch nicht zugestimmt hat. Dieses Instrumentalisieren ist verboten, weil es einen Angriff auf die Freiheit des Menschen repräsentiert. Anderseits ist das Objektifizierungsverbot das Verbot, von dem das Instrumentalisierungsverbot seine Begründung erhält. Für die Begründung des Instrumentalisierungsverbotes reicht die Behauptung nicht, dass Menschen freie Wesen sind, denn wenn nur das angenommen ist, bleibt die Möglichkeit, die Freiheit der Menschen nicht zu respektieren. Die Pflicht, andere Menschen als freie Wesen zu betrachten und zu achten, sie nicht zu instrumentalisieren, stammt aus der Pflicht, Menschen als freie Wesen zu betrachten und zu achten, d.h. aus der Pflicht, andere Menschen nicht als Objekte zu sehen. Darüber hinaus ist auch zu bemerken, dass, weil das Objektifizierungsverbot das Instrumentalisierungsverbot umfasst, aber nicht mit ihm identisch ist, immer die Möglichkeit besteht, dass ein Handeln, dass nicht gegen das Instrumentalisierungsverbot verstößt, trotzdem als ein Verstoß gegen das Objektifizierungsverbot verstanden werden kann. In diesem Zusammenhang könnte bei der unten erwähnten vierten Variante des Trolley-Problems könnte gefragt werden, ob die Steuerung des Zuges als ein Verstoß gegen das Objektifizierungsverbot interpretiert werden kann. Es muss jedoch bemerkt werden, dass wenn der Zug auf eine andere Bahn gesteuert wird, kann trotzdem diskutiert werden, ob diese Änderung eine Objektifizierung einer Person bedeutet, oder ob das Nicht-Handeln als Objektifizierung der fünf anderen Personen interpretiert werden muss. Ist ein Handeln, das nicht durch eine Instrumentalisierung erfolgt, aber trotzdem gegen die Zustimmung der Betroffenen ausgeübt wird, als Verstoß gegen das Objektifizierungsverbot zu verstehen, wenn durch diese Handlung vermieden wird, dass fünf Personen getötet werden – auch wenn diese fünf Personen keine Zustimmung für das Nicht-Handeln gegeben haben? Hier kann eine positive Antwort nur angenommen werden, wenn das Objektifizierungsverbot so verstanden werden soll, dass es eine Handlung verbietet, solange diese Handlung ohne die Zustimmung der betroffenen Person(en) erfolgt, auch wenn durch diese Handlung viele andere Personen gerettet werden (siehe KERTSTEIN, 2013, S. 136-137).

2.2 Faktische und vernünftige Zustimmung bei Kant

Kants Vertretung eines Instrumentalisierungsverbotes kann nicht so interpretiert werden, als habe er es als ein absolutes Instrumentalisierungsverbot konzipiert. Das Verbot, andere bloß als Mittel zu betrachten, bedeutet das Verbot, die Freiheit einer Person ohne ihre Zustimmung zu begrenzen. Aber nicht alle Begrenzungen der Freiheit eines Menschen müssen als einen Verstoß gegen die Würde des Menschen interpretiert werden, denn die Unterscheidung zwischen faktischer oder vernünftiger (rationeller) Zustimmung muss berücksichtigt werden.

In Kants Philosophie ist diese Unterscheidung zwischen vernünftiger und faktischer Zustimmung nicht in direkter, aber in indirekter Form zu finden. So ist für ihn der „ursprüngliche Vertrag“ eine Art von Norm, die keine faktische Zustimmung benötigt3, aber andererseits hebt er hervor, dass es Fälle geben kann, bei denen eine Zustimmung unmöglich ist, wie z. B. wenn eine Zustimmung faktisch möglich, aber nicht notwendig ist. Kants Ausführungen über die Zustimmung zeigen, dass es für ihn möglich ist, etwas als Norm zu betrachten, solange keine notwendige vernünftige Ablehnung (also Situationen, bei denen eine Zustimmung vernünftig unmöglich ist) existiert. Trotz dieser Überlegungen ist es erforderlich zu beachten, dass Kants Unterscheidung der Zustimmung in vernünftige und faktische in einem konkreten Fall präsentiert wird, so dass die Anwendung dieser Unterscheidung für die Diskussion über das Instrumentalisierungsverbot mit der Voraussetzung operieren muss, dass Kant diese seine Unterscheidung auch bei der Beantwortung anderer praktischer Fragen anwenden würde.

Bei dem Problem des zum Absturz-Bringens eines entführten Flugzeuges argumentiert Schaber (Siehe 2010, S. 139-140), dass diese Handlung als erlaubt betrachtet werden könnte, solange es möglich wäre zu argumentieren, dass die Passagiere ihrer eigenen Tötung zustimmen würden, d. h., wenn es möglich wäre zu zeigen, dass eine vernünftige Zustimmung für die Tötung tatsächlich erfolgt. Schaber bemerkt, dass das Instrumentalisierungsverbot in vielen Situationen als ein Verbot zu verstehen ist, dass durch eine vernünftige Zustimmung aufgehoben werden könnte. Dass diese Möglichkeit besteht, ist nicht schwierig zu zeigen, so wie Kant behauptet, dass die Pflicht, nicht zu lügen, keine absolute Pflicht ist, denn es ist beispielsweise möglich zu argumentieren, dass diese Pflicht nicht das Verbot des Lügens umfasst, wenn jemand einer Geburtstagsperson sagt, dass keine Überraschungsparty für sie vorbereitet ist. Eine Ausnahme für die Pflicht, niemals zu lügen, ist auch ohne Zustimmung möglich. So argumentiert Kant, wenn er die Situation analysiert, in der eine Lüge die einzige Lösung für das Vermeiden eines Diebstahls ist (siehe AA XVII, S. 448).

Nach strikter Auslegung von Kants Text über die vernünftige Zustimmung kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Zustimmung der Passagiere möglich wäre. Trotzdem ist in einer faktischen Situation (dazu können die Ereignisse erwähnt werden, die am 11. September 2001 im Flug United Airlines 93 stattgefunden haben) zu vermuten, dass die Passagiere nicht bevorzugen, tatenlos zu bleiben und sich zu opfern. Vielleicht könnte in einer extremen Situation, wenn die Passagiere wissen, dass es für sie keine Möglichkeit mehr gibt, ihre eigenes Leben zu retten, über vernünftige Zustimmung gesprochen werden, und durch diese Art von Zustimmung das zum Absturz-Bringen des Flugzeuges nicht als Instrumentalisierung betrachtet werden. Andererseits ist es in allen anderen Situationen nicht möglich, die Auffassung zu begründen, dass das zum Absturz-Bringen des Flugzeuges nicht gegen die Entscheidung der Passagiere erfolgen würde.

2.3 Kants Auffassung des Notstands als Relativierung des Gebotes der Achtung der Menschenwürde

Obwohl die Tötung der Passagiere als Konsequenz des Absturzes des Flugzeuges kein Verstoß gegen das Instrumentalisierungsverbot repräsentiert, könnte diese Handlung als ein Verstoß gegen das Objektifizierungsverbot und deswegen als ein Verstoß gegen die Würde des Menschen betrachtet werden. Aus diesem Grund ist es sinnvoll zu betrachten, wie Kant die Situationen des Notstands hinsichtlich der Beachtung der Würde des Menschen analysiert hat, sowie die Weise, wie bei ihm der Unterschied zwischen moralischen und rechtlichen Pflichten behandelt wird.

“Dieses vermeinte Recht[, das von Kant als Notrecht bezeichnet wird, aber den Notstand betrifft,] soll eine Befugnis sein, im Fall der Gefahr des Verlusts meines eigenen Lebens, einem Anderen, der mir nichts zu Leide that, das Leben zu nehmen. Es fällt in die Augen, daβ hierin ein Widerspruch der Rechtslehre mit sich selbst enthalten sein müsse – denn es ist hier nicht von einem ungerechten Angreifer auf mein Leben, dem ich durch Beraubung des seinen zuvorkomme (ius inculpatae tutelae), die Rede, wo die Anempfehlung der Mäßigung (moderamen) nicht einmal zum Recht, sondern nur zur Ethik gehört, sondern von einer erlaubten Gewalttätigkeit gegen den, der keine gegen mich ausübte” (KANT, AA VI, S. 235).

Neben der Notwehr als Verteidigung gegen einen rechtswidrigen Angriff (Cf. KANT, AA VI, S. 235) betrachtet Kant den Notstand als eine Situation, in der keine rechtswidrige Lebensgefahr existiert, aber auch nicht zu erwarten ist, dass die Person ihr eigenes Leben tatsächlich opfern wird, um das Risiko einer möglichen strafrechtlichen Belangung zu vermeiden.

“Es kann nämlich kein Strafgesetz geben, welches demjenigen den Tod zuerkennte, der im Schiffbruche, mit einem Andern in gleicher Lebensgefahr schwebend, diesen von dem Brette, worauf er sich gerettet hat, wegstieβe, um sich selbst zu retten. Denn die durchs Gesetz angedrohte Strafe könnte doch nicht größer sein, als die des Verlusts des Lebens des ersteren. Nun kann ein solches Strafgesetz die beabsichtigte Wirkung gar nicht haben; denn die Bedrohung mit einem Übel, was noch ungewiβ ist, (dem Tode durch den richterlichen Ausspruch) kann die Furcht vor dem Übel, was gewiβ ist, (nämlich dem Ersaufen) nicht überwiegen. Also ist die That der gewalthätigen Selbsterhaltung nicht etwa als unsträflich (inculpabile), sondern nur als unstrafbar (inpunibile) zu beurtheilen und diese subjektive Straflosigkeit wird, durch eine wunderliche Verwechselung von den Rechtslehrern für eine objektive (Gesetzmäßigkeit) gehalten” (KANT, AA VI, S. 235-236).

Kant argumentiert, dass in Fällen von Notstand nicht zu erwarten ist, dass jemand das Unrecht (nach positivem Recht) vermeiden und sich selbst wegen der Achtung des Rechts opfert, so wie diese Person auch nicht erwarten soll, dass ihr rechtswidriges Verhalten vom Recht als rechtmäßig betrachtet wird. Für Kant handelt es sich in diesem Zusammenhang nicht um die Unterordnung des positiven Rechts, sondern um die Identifizierung der Gründe, die für die eine oder die andere Alternative sprechen:

“Der Sinnspruch des Nothrechts heiβt: „Noth hat kein Gebot (necessitas non habet legem)“; und gleichwohl kann es keine Noth geben, welche, was unrecht ist, gesetzmäβig machte. Man sieht: daβ in beiden Rechtsurteilungen (nach dem Billigkeits- und dem Nothrechte) die Doppelsinnigkeit (aequivocatio) aus der Verwechselung der objektiven mit den subjektiven Gründen der Rechtsausübung (vor der Vernunft und vor einem Gericht) entspringt, da dann, was jemand für sich selbst mit gutem Grunde für Recht erkennt, vor einem Gerichtshofe nicht Bestätigung finden und, was er selbst an sich als unrecht beurtheilen muβ, von eben demselben Nachsicht erlangen kann; weil der Begriff des Rechts in diesen zwei Fällen nicht in einerlei Bedeutung ist genommen worden” (KANT, AA VI, S. 236).

Mit Bezug auf die hier untersuchte Problematik der Bedeutung des Schutzes der Menschenwürde ist in Kants Argumentation die Idee wesentlich, dass unter extremen Umständen niemand von der Vernunft gezwungen ist, sein eigenes Leben zu opfern, um den Tod eines anderen zu vermeiden, wenn keiner der beiden die Lebensgefahr verursacht hat (hier muss zwischen der Tugendpflicht, sich selbst zu opfern, und der Abwesenheit einer Pflicht zur Selbstopferung, die aus der Vernunft stammen würde, unterschieden werden. Siehe PAWLIK, 2002, S. 20, Fn. 22). Das bedeutet nicht, so argumentiert Kant, dass es keine rechtliche Pflicht geben könnte, die jemandem verbieten würde, eine andere Person zu töten, um das eigene Leben zu retten. Nach Kant kann es immer eine „Verwechselung der objektiven mit den subjektiven Gründen der Rechtsausübung (vor der Vernunft und vor einem Gericht)“ geben; ist es möglich, dass ein Gericht eine Person für unschuldig erklärt, auch wenn nach der positiven Normierung – nach den „subjektiven Gründen“ – das Gericht diese Person aufgrund der Gesetzeslage für schuldig erklären müsste. Wesentlich für diese Diskussion ist, dass nach Kants Auffassung bei solchen Handlungen die Möglichkeit besteht, gleichzeitig vernünftig zu sein und sie als Verstoß gegen die Würde des Menschen zu interpretieren.

Für die Diskussion über die Anwendung des Instrumentalisierungs- und Objektifizierungsverbots bieten Kants Ausführungen einen relevanten Beitrag, weil er ausdrücklich erwähnt, dass die Tötung einer Person, um das eigene Leben zu retten, als ein Grund „vor der Vernunft“ betrachtet werden kann. Das bedeutet nicht, dass das Instrumentalisierungs- oder das Objektifizierungsverbot aufgehoben sind, sondern nur, dass ein vernünftiger Grund für die Nicht-Beachtung dieser Verbote existiert, auch wenn das eine Verletzung der Menschenwürde bedeutet, weil aus der Vernunft keine Pflicht entsteht, die diese Handlung verbietet. Nicht immer ist ein Verstoß gegen das Instrumentalisierungsverbot gleichzeitig als Verstoß gegen die Vernunft zu interpretieren, so wie auch zu beachten ist, dass Instrumentalisierungs- und Objektifizierungsverbot bei Kant nicht als absolute Verbote interpretiert werden. Eine Rechtsnorm, die die Tötung im Notstand erlaubt, d.h. die diese Handlung nicht strafbar macht, würde nach Kants Auffassung eine Tugendpflicht verletzen, denn es wäre eine unerlaubte Instrumentalisierung des Lebens einer Person, aber es könnte trotzdem als vernünftige Norm betrachtet werden.

Eine der Schwierigkeiten bezüglich der Situation des zum Absturz-Bringen eines entführten Flugzeuges liegt in der Tatsache, dass durch das Luftsicherheitsgesetz eine Erlaubnis erzeugt würde, also eine Ausnahme von der allgemeinen Rechtspflicht, die die absichtliche Tötung von Unschuldigen verbietet. Angesichts der Ausführungen Kants kann behauptet werden, dass eine solche Tötung einem Verstoß gegen das Objektifizierungsverbot entsprechen würde, trotzdem ist es nicht möglich durch die Berücksichtigung seiner Auffassung zu behaupten, dass ein Gesetz diese Maßnahme nicht bestimmen könnte, oder dass die Person, die für das Abstürzen verantwortlich wäre, in unvernünftiger Weise gehandelt hätte. Es scheint nicht nötig, eine weitergehende Überlegung über die Tatsache, dass bei der in § 14 Abs. 3 LuftSiG beschriebene Situation nicht der Fall eintrifft, dass das eventuell positive Notstandsrecht nicht von den Passagieren ausgeübt wird, sondern von einer unbeteiligten dritten Person. In einem solchen Fall könnte nicht behauptet werden, dass die Person, die das Flugzeug zum Absturz bringt, wegen des Risikos des Verlustes des eigenen Lebens handelt, aber es könnte trotzdem gedacht werden, dass das Risiko, durch ein Strafverfahren schuldig gesprochen zu werden, diese Handlung als unvernünftig angesehen werden könnte. So wie es nicht unvernünftig ist, sich selbst für die Rettung von anderen zu opfern, kann es auch als vernünftig betrachtet werden, das Risiko anzunehmen, durch ein Verfahren schuldig gesprochen zu werden, um andere Menschen zu retten.

Eine weitere Schwierigkeit in Bezug auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts liegt in der Tatsache, dass der Schutz der Würde des Menschen in einer positiven Norm zu finden ist, die keine Ausnahme erlaubt, obwohl nach Kants Auffassung die Pflichten, die aus der Achtung Würde des Menschen stammen, unter gravierenden Umständen Ausnahmen erlauben. Da für Kant die Würde des Menschen kein ausnahmsloses Instrumentalisierungs- oder Objektifizierungsverbot umfasst, ist es möglich angesichts seiner Auffassung der Würde des Menschen über ein verfassungsmäßiges Notstandsrecht zu sprechen. Was zu beantworten bleibt, ist die Frage, ob es überhaupt ein Notstandsrecht geben kann, wenn man nicht nur die Würde des Menschen mit den Verboten der Instrumentalisierung und der Objektifizierung verbindet (was Kants Auffassung der Menschenwürde entspricht), sondern auch diese Verbote als ausnahmslose betrachtet (was Kants Auffassung der Menschenwürde nicht entspricht).

Ist das Objektifizierungsverbot als absolutes Verbot zu verstehen, solange die geschützte Person diesen Schutz nicht ausnutzen will, um rechtswidriges Verhalten auszuüben, dann ist man bei der unten erwähnten klassischen Variante des Trolley-Problems mit einer schwierigen Lage konfrontiert. Angesichts des Objektifizierungsverbots ist die Steuerung des Zuges auf eine andere Bahn, wodurch fünf Personen gerettet, aber eine Person geopfert wird, als ein Verstoß gegen das Objektifizierungsverbot (und nach der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts auch als ein Verstoß gegen die Würde des Menschen) zu interpretieren. Eine Ausnahmelosigkeit des Objektifizierungsverbots im Hinblick auf Unschuldige bedeutet, dass es niemals rechtlich erlaubt ist, einen oder einigen Unschuldige zu opfern, um mehrere Unschuldige zu retten. Für alle unten dargestellten Varianten des Trolley-Problems bleibt immer eine Antwort: Um einen Verstoß gegen das Objektifizierungsverbot zu vermeiden, solange keine ausdrückliche Zustimmung für eine Opferung erkennbar ist, soll die betreffende Person nichts tun. Diese Schlussfolgerung ist nicht notwendig, wenn Kants Philosophie berücksichtigt ist, denn „Noth hat kein Gebot“. Andererseits könnte entsprechend der vom Bundesverfassungsgericht gegebenen Interpretation des verfassungsrechtlichen Schutzes der Menschenwürde behauptet werden, dass es auch bei Not eine Norm gibt, das Objektifizierungsverbot.

3 VIER VARIANTEN DES TROLLEY-PROBLEMS UND DIE BEDEUTUNG DIESER EXPERIMENTE FÜR DIE DISKUSSION ÜBER DAS INSTRUMENTALISIERUNGSVERBOT

Trolley-Probleme (siehe BRUERS; BRAECKMAN, 2014) sind eine Gruppe von Denkexperimenten, die in philosophischen Diskussionen verwendet werden, um beispielsweise klarzustellen, welche Ursache-Wirkungs- Verhältnisse zwischen Handlungen (durch Tun oder Unterlassen) und Konsequenzen in Entscheidungsprozessen eine Rolle spielen (so wie es in den unten behandelten Brücken- und Schleifen-Varianten bearbeitet wird). Trolley-Probleme werden auch als Werkzeuge in psychologischen und neurowissenschaftlichen Forschungen angewendet, um eine eventuelle konsequentialistische oder deontologische Tendenz in den Entscheidungsprozessen zu identifizieren (siehe GREENE et al., 2016; GREENE et al., 2004). In letzterem Kontext wird in einigen Fällen ausdrücklich erwähnt, dass das Ziel der Forschung in der Identifizierung einer (unbewussten) Anwendung des Prinzips der Doppelwirkung liegt, sodass eventuell gezeigt werden kann, dass Menschen eine Art moralische Intuition besitzen, die durch dieses Prinzip repräsentiert werden kann.

Um Trolley-Probleme, sowie Experimente zu diesen Problemen, bei der Analyse der Bedeutung des Instrumentalisierungsverbots (sowie für die kritische Untersuchung der Entscheidung über § 14 Abs. 3 LuftSiG) anwenden zu können, werden die folgenden vier Varianten berücksichtigt (Diese vier Varianten sind in Bruers und Braeckman zu finden (2014, S. 253 ff.). Zur vierten Variation muss angemerkt werden, dass sie anders als von Bruers und Braeckman suggeriert, schon 2002 in der Literatur vorkommt (siehe MIKHAIL, 2002, S. 114, MIKHAIL, 2011, S. 108)).

Klassische Variante: Ein Zug fährt in die Richtung von fünf Personen. Ein Beobachter könnte den Zug auf eine andere Bahn lenken. Wenn der Beobachter nichts tut, werden die fünf Personen durch den Zug sterben. Wenn der Beobachter den Zug auf eine andere Bahn steuert, wird eine andere Person sterben.

Brücken-Variante: Ein Zug fährt in die Richtung von fünf Personen. Ein Beobachter an einer Brücke über die Schienen kann vermeiden, dass der Zug die fünf Personen tötet, aber nur wenn er einen dicken Mann, der neben ihm steht, auf die Schienen wirft.

Schleifen-Variante: Ein Zug fährt in Richtung einer Wendeschleife. Ein Beobachter kann den Zug auf eine andere Bahn steuern. Wenn er nichts tut, wird der Zug fünf Personen töten, aber ein dicker Mann, die weiter hinten auf den Schienen steht, wird überleben. Steuert er der Zug in einer anderen Richtung zur Wendeschleife, wird der dicke Mann sterben, aber die fünf Personen werden überleben.

Schleife mit Stein-Variante: Wie bei der Schleifen-Variante fährt ein Zug in die Richtung von fünf Menschen und ein Beobachter kann den Zug auf eine andere Bahn steuern. Aber diesmal liegt hinter einer Person (in diesem Fall ist diese Person nicht schwer genug, um das Weiterfahren des Zuges zu verhindern) in der anderen Richtung zur Wendeschleife ein großer Stein, der alleine groß genug ist, um das Weiterfahren des Zuges zu verhindern und die fünf Menschen zu retten. Steuert der Beobachter nun den Zug in anderer Richtung zur Wendeschleife, wird eine Person sterben, aber die fünf Personen werden überleben.

Darüber ist zuerst zu achten: Trolley-Probleme sind normalerweise mit der Diskussion über die Anwendung des Prinzips der Doppelwirkung verbunden. Eine Schwierigkeit bezüglich der Behandlung dieser Probleme anhand dieses Prinzips liegt in der Tatsache, dass dieses Prinzip mit dem Unterschied zwischen intendierten und vorgesehenen Konsequenzen operiert. Dazu bemerkt Fitzpatrick, dass diese Unterscheidung nicht immer in der Darstellung der Trolley-Probleme deutlich wird. Eine Konsequenz dieser Undeutlichkeit wäre, dass in der Brücken-Variante jemand behaupten könnte, dass der Tod des dicken Mannes vorhersehbar, aber nicht intendiert war (siehe 2014, 506 ff.). Die Unklarheit in Bezug auf die Absicht folgt beispielsweise aus einer Formulierung Aquins: „Es steht nichts im Wege, daß ein und dieselbe Handlung zwei Wirkungen hat, von denen nur die eine beabsichtigt ist, während die andere außerhalb der [eigentlichen] Absicht liegt“. Aus diesem Grund ist es nach Fitzpatricks Meinung sinnvoll, Quinns Auffassung des Prinzips der Doppelwirkung zu übernehmen. Quinns Argument zu dieser Problematik operiert mit der Ansicht, dass „[e]ach person is to be treated, so far as possible, as existing only for purposes that he can share. [...] People have a strong prima facie right not to be sacrificed in strategic roles over which they have no say“ (1989, S. 350).

Versucht man diese vier Trolley-Probleme anhand des Instrumentalisierungsverbots (nach Quinns durch Kant inspirierte Auffassung4) zu lösen, wird man folgende Antworten erhalten: In der klassischen Variante ist die Steuerung des Zuges auf eine andere Bahn erlaubt, weil das Retten der fünf Personen durch die Steuerung des Zuges (und nicht durch das Töten einer Person) erfolgt. In der Brücken-Variante repräsentiert die überlegte Handlung einen Verstoß gegen das Instrumentalisierungsverbot, da eine Person als Mittel angewendet wird, um das Leben von fünf Personen zu retten. Hier ist zu beachten, dass der dicke Mann geopfert werden muss, um die fünf Personen zu retten, aber für keine andere Person die Möglichkeit besteht, über diese Opferung zu entscheiden. Auch in der Schleifen-Variante ist die Opferung einer Person, um fünf Personen zu retten, nicht erlaubt, denn wie bei der Brücken-Variante wird eine Person als Mittel verwendet, um fünf Personen zu retten. Wesentlich anders ist der Fall bei der Schleife mit Stein-Variante. Gäbe es keine Person vor dem Stein, würde das Ergebnis der Steuerung des Zuges genau dasselbe sein, wie bei der bloßen Anwesenheit dieser Person. Es ist der Stein und nicht die Person, die als Mittel verwendet wird, um die fünf Personen zu retten. Aus diesem Grund repräsentiert die Steuerung des Zuges keinen Verstoß gegen das Instrumentalisierungsverbot.

Die Schleife mit Stein-Variante der Trolley-Probleme entspricht den wesentlichen Merkmalen im Falle des zum Absturz-Bringens eines entführten Flugzeuges. Das zum Absturz-Bringen des Flugzeuges ist das Mittel, um das Leben von anderen Menschen zu retten. Andererseits ist die Tötung der Insassen des Flugzeuges kein Mittel zu diesem Zweck, sondern eine zweite Wirkung, die durch die Verwirklichung der gewünschten Wirkung (des Absturzes des Flugzeuges) sehr wahrscheinlich erfolgt. Deswegen kann nicht behauptet werden, dass das zum Absturz-Bringen des Flugzeuges einen Verstoß gegen das Instrumentalisierungsverbot repräsentiert.5 Schon der Sinn des Wortes „Instrumentalisierung“ macht deutlich, warum durch den Angriff auf das Flugzeug die Passagiere in keiner Weise als Instrument, als Werkzeug, als Mittel verwendet werden, um das Leben anderer zu retten. Würde Art. 1 Abs. 1 GG als nur Instrumentalisierungsverbot interpretiert, wäre es erlaubt, ein Flugzeug zum Absturz zu bringen, um das Leben anderer Menschen zu retten. Wenn aber der Maßstab für die Entscheidung nicht im Instrumentalisierungsverbot, sondern im Objektifizierungsverbot liegt, dann kann gegen das zum Absturz-Bringen des Flugzeuges argumentiert werden, dass diese Entscheidung die Passagiere zu Objekten degradiert und deswegen in Konflikt mit Art. 1 Abs. 1 GG steht.

Neben der oben dargestellten Stellungnahme, die aus Kants philosophischer Auffassung hervorgeht, ist es relevant die Ergebnisse zu berücksichtigen, die Hauser et al. und Greene et al. durch empirische Forschung anhand der oben erwähnten Variante der Trolley-Probleme erreicht haben, da die Ergebnisse dieser Forschungen als eine Art „empirisches“ Argument gegen Kant interpretiert werden können.6

Bei Untersuchungen von Hauser, Young und Cushman haben zwischen 2003 und 2004 ungefähr 5.000 Personen Fragen zu den vier oben zitierten Varianten der Trolley-Probleme beantwortet (2008, S. 129). 89 % haben geantwortet, dass in der ersten Variante die Steuerung des Zuges erlaubt war, während die Handlung der zweiten Variante, das Werfen des dicken Mannes, nur von 11 % als erlaubt betrachtet wurde (HAUSER; YOUNG; FIERY, 2008, S. 129). Angesichts dieser Ergebnisse könnte gedacht werden, dass Kants Auffassung der Menschenwürde eine empirische Unterstützung bekommen würde. Auch die Ergebnisse der anderen zwei Varianten – 55 % verstehen die Steuerung in der dritten Variante als erlaubt, während 72 % haben die Steuerung des Zuges in der vierten Variante als erlaubt betrachtet (HAUSER; YOUNG; FIERY, 2008, S. 132) – zeigen, dass das Instrumentalisierungsverbot eine Rolle bei der Bewertung der Situationen spielt. Aber diese Ergebnisse weisen auch darauf hin, dass ein Instrumentalisierungsverbot nicht so überzeugend ist, wenn die Instrumentalisierung durch Fernhandlung erfolgt.

Dieselbe Problematik wurde von Greene et al. in einer anderen Gruppe von Experimenten behandelt. Das Ergebnis dieser Untersuchungen suggeriert, dass die Reaktion auf die Trolley-Probleme aus einer Kombination von zwei Tendenzen erfolgt: die Annahme einer Berücksichtigung des Instrumentalisierungsverbots und die Tendenz, Handlungen zu missbilligen, die durch persönliche Kraftanwendung gegen Personen („personal force“) ausgeübt werden. Greene behauptet, dass seine Untersuchung

“highlights the influence of two factors that exert a powerful influence when both are present. First, we are more likely to disapprove of harmful actions that involve the application of personal force – roughly, cases in which the agent pushes the victim. Second, we are more likely to disapprove if the harm is intended as a means to the agent’s goal, and is not merely a foreseen (or unforeseen) side-effect” (2016, S. 176).

Durch das Ergebnis einiger der Experimente, welche die Varianten „Schleife“ und „Schleife mit Stein“ umfassen, und nach denen die Anzahl an Antworten für die Steuerung des Zuges fast gleich war, argumentieren Greene et al., dass für die meisten Menschen die Entscheidung in beiden Varianten nicht durch ein Instrumentalisierungsverbot orientiert ist (Siehe 2016, S. 187. Greene et al. argumentieren, dass die Ergebnisse ihrer Forschung im Vergleich mit den Ergebnissen von Hauser et al. und Mikhail genauer seien, weil die in deren Experimenten angewendeten Beispiele keine so deutliche Beschreibung der Situation umfassen. Siehe 2016, S. 187). Weil die Experimente gezeigt haben, dass auch bei der Abwesenheit der Anwendung von physischer Kraft immer eine bedeutungsvolle negative Reaktion auf die Steuerung des Zuges identifiziert werden kann, wird von Greene et al. behauptet, dass die „Lösung“ der psychologischen Version der Trolley-Probleme durch eine Verbindung zwischen einer normativen Tendenz und der Tendenz zur Abneigung gegen die Anwendung von physischer Kraft/Gewalt konstituiert ist (Siehe 2016, S. 188).

Stellt man sich die Frage nach der Relevanz dieser empirischen Forschungen für ein juristisches Problem, für die eventuelle Annahme einer Interpretation des Schutzes der Menschenwürde, dann sind einige Überlegungen zu berücksichtigen. Erstens ist zu bemerken, dass Trolley-Probleme von einem nicht-rechtlichen Ausgangspunkt aus operieren. Bei den Experimenten werden Personen gefragt, was sie für richtig halten, nicht was rechtlich erlaubt ist. Ein Vorteil dieses Ausgangspunkts besteht in der Möglichkeit, die Entscheidungsprozesse der Menschen zu beobachten, wenn sie tatsächlich entscheiden können, ohne sich über rechtliche Konsequenzen Sorgen machen zu müssen. Nach den von Greene et al. (und teilweise auch von Hauser et. al.) dargestellten Ergebnissen werden die meisten Menschen nicht die Tendenz zeigen, durch die Berücksichtigung eines Instrumentalisierungsverbots Entscheidungen zu treffen, sondern sie zeigen die Tendenz zur Ablehnung der Anwendung von physischer Kraft/Gewalt als Mittel für die Rettung anderer Menschen. Es ist nicht der Fall, dass alle Menschen überzeugende Konsequentialisten sind (hierin besteht der „Sieg“ einer kantianischen Auffassung), so wie auch nicht zu erwarten ist, dass Menschen niemals physische Kraft einsetzen werden, wenn das das einzelne Mittel ist, Menschen zu retten. Aus diesem Grund ist eine empirische Begründung des Instrumentalisierungs- sowie des Objektifizierungsverbots teilweise bestätigt, aber teilweise auch widerlegt. Handeln die Individuen ohne Berücksichtigung der rechtlichen Normierung der Situation, werden die meisten von ihnen bei der dritten und vierten Variante der Trolley-Probleme eine konsequentialistische Entscheidung treffen, ohne Beachtung eines Instrumentalisierungs- oder Objektifizierungsverbots.

4 KANN DER ÜBERGESETZLICHE NOTSTAND DEN PILOTEN MOTIVIEREN, DAS FLUZGEUZ ZUM ABSTURTZ ZU BRINGEN?

Trolley-Probleme können auch unter Berücksichtigung des rechtlichen Einflusses angewendet werden. Um diese Situationen analysieren zu können, sind einige Lösungsalternativen zu beachten, die in der Literatur zum § 14 Abs. 3 LuftSiG dargestellt werden. Eines der Hauptprobleme in Bezug auf die Entscheidung, dass § 14 Abs. 3 verfassungswidrig ist, liegt in der Art der Handlung, die diese Norm erlauben würde. Nach dieser Vorschrift wäre die Tötung von unschuldigen Menschen erlaubt, wenn diese Maßnahme das einzelne Mittel wäre, um das Leben von anderen Menschen zu retten. Nach dieser Norm kann das zum Absturz-Bringen des Flugzeuges, sowie die Tötung der Passagiere, als rechtmäßiges Handeln betrachtet werden.

Mit Bezug auf diese Thematik erwähnt Dreier die von Pawlik vorgetragene Hypothese (2004, S. 1048), dass § 14 Abs. 3 LuftSiG als lex specialis betrachtet werden könnte, die deswegen die Anwendung des § 34 StGB in spezifischen Fällen begrenzen würde, da der Schutz des rechtfertigenden Notstandes des § 34 StGB nicht die Möglichkeit umfasst, auf Grund des Schutzes des Lebensrechts von einigen das Leben von anderen zu gefährden. Hier ist zu beachten, dass nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 alle Menschen das gleiche Lebensrecht besitzen und deswegen eine Abwägung Leben gegen Leben ausgeschlossen ist. Konsequenterweise würde § 14 Abs. 3 LuftSiG in gewissem Sinn den Schutzbereich des Verfassungsrechts auf Leben begrenzen.7 Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes hat zu diesem Thema klargemacht, dass eine solche Begrenzung durch Anwendung der Abwägung verfassungswidrig ist (Siehe BVerfGE, 1 BvR 357/05, Rz. 38).

Eine andere Alternative, die bei der konkreten Formulierung des § 14 Abs. 3 ausgeschlossen wurde – denn diese Norm verfügt über die Zulassung des zum Absturz-Bringens eines entführten Flugzeuges, die aber mit einer anderen Formulierung überlegt werden könnte –, ist die alternative Formulierung, den § 14 Abs. 3 als eine Art von Norm wie § 35 Abs. 1 Satz 1 StGB zu verstehen. In einem solchen Fall könnte eine Version dieser Vorschrift als eine Art lex specialis mit Bezug auf § 35 Abs. 1 Satz 1 StGB verstanden werden, die das zum Absturz-Bringen eines Flugzeuges als rechtswidrige, aber nicht strafbare Handlung betrachten würde.

Da § 35 Abs. 1 Satz 1 StGB auf einen konkreten Fall wegen des Erfordernisses der „Nähebeziehung“ keine praktische Anwendung finden könnte, bleibt als letzte Alternative für eine praktische (nicht positivrechtliche) Lösung, die das zum Absturz-Bringen ermöglichen würde, der sogenannte übergesetzliche Notstand. In diesem Fall könnte mittels einer analogen Anwendung des § 35 Abs. 1 Satz 1 StGB argumentiert werden, dass die Handlung des Piloten rechtswidrig war, aber angesichts der gegenwärtigen Gefahr für das Leben von vielen anderen Menschen und bei Abwesenheit einer Alternativlösung unbestraft bleiben kann/soll.

In diesem Zusammenhang ist es sinnvoll, die Situation aus dem Blickwinkel des Piloten eines Kampfflugzeuges zu berücksichtigen. Bekommt der Pilot den Befehl, das entführte Flugzeug abzuschießen, darf er nach § 11 Abs. 2 Soldatengesetz den Befehl nicht befolgen, da er durch diese Handlung eine Straftat begehen würde. Folgt der Pilot dem Befehl oder schießt er trotz Abwesenheit eines Befehls, könnte seine Handlung durch übergesetzlichen entschuldigenden Notstand gestützt und geschützt werden.

Einige Autoren erwähnen die Möglichkeit des übergesetzlichen Notstands (Siehe STÜBINGER, 2015, S. 382, HÖRNLE, 2007, S. 599-600) (es handelt sich um eine Möglichkeit, da nicht sicher ist, ob diese Art von Notstand vor Gericht anerkannt wird, oder nicht) als einen Grund, warum die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes nicht notwendigerweise so zu interpretieren ist, da es angesichts der rechtlichen Perspektive nicht notwendigerweise der Fall ist, dass während der Entführung eines Flugzeuges alle Personen tatenlos bleiben. Es könnte immerhin die Hoffnung existieren, dass ein Pilot die Situation mittels einer verfassungswidrigen Abwägung Leben gegen Leben analysiert und trotz des Risikos einer eventuellen strafrechtlichen Verfolgung so handelt, dass durch das Opfern einiger (oder vieler) Leben noch mehr Leben gerettet werden.

Darüber hinaus muss ein weiterer Aspekt erwähnt werden, der die oben dargestellte Hypothese aus einer praktischen Sicht in Frage stellen kann. In einem konkreten Fall wird ein Pilot mit der Entscheidung zwischen zwei „Herren“ konfrontiert: Entweder er folgt der Autorität des Rechts, die ihm verbietet, das Flugzeug abzuschießen, oder er folgt einer moralischen Überzeugung (nicht alle moralischen Auffassungen und Überzeugungen würden das zum Absturz-Bringen des Flugzeuges erlauben), die ihm erlaubt oder gar gebietet, auf das Flugzeug zu schießen, um einen größeren Verlust an Leben zu vermeiden.

Harel und Scharon haben gegen eine allgemeine rechtliche Erlaubnis des Notstandes in extremen Fällen argumentiert, dass diese Art rechtlicher Normierung von Ausnahmesituationen das Risiko des Missbrauchs deutlich erhöhen würde (Siehe 2011, S. 854). Dieses Argument identifiziert ein Risiko, aber durch das Vermeiden dieses Risikos wird ein weiteres Risiko verursacht, denn ein anderer Aspekt der Problematik ist hier zu beachten: der psychologische Aspekt des menschlichen Handelns. Weil Soldaten nur im Rahmen des rechtlich Erlaubten handeln dürfen, also weil sie unter der Autorität der Rechtsordnung stehen, könnte gefragt werden, ob die Existenz dieser Autorität keinen stärkeren Einfluss auf die Entscheidung des Piloten haben würde oder müsste, als seine moralische Auffassung. Zu diesem Thema kann das Milgram-Experiment berücksichtigt werden und in Verbindung mit Milgrams Auffassung der Einfluss von Autoritäten ist es möglich, zu argumentieren, dass Menschen die Tendenz zeigen, gegen ihre eigenen moralischen Auffassungen zu handeln, wenn sie Anweisungen von Autoritäten bekommen.

Im Milgram-Experiment sollte eine Versuchsperson, die die Aufgabe eines Lehrers übernommen hatte, einer anderen Versuchsperson, die die Rolle des Schülers spielte, bei der falschen Beantwortung von Fragen elektrische Schläge versetzen. Eine dritte Person war anwesend, die dem „Lehrer“ Anleitungen geben würde. Diese dritte Person wurde in einigen Situationen vom „Lehrer“ gefragt, ob die elektrischen Schläge weiter durchgeführt werden sollten, da der „Schüler“ schwer dagegen protestiert hatte. In diesen Situationen hat der Anleiter gesagt, dass die elektrischen Schläge weiter versetzt werden sollten. Die meisten Versuchspersonen haben das Experiment bis zum Ende durchgeführt. Über dieses Experiment schreibt Milgram: “It is clear from the remarks and outward behavior of many participants that in punishing the victim they are often acting against their own values. Subjects often expressed deep disapproval of shocking a man in the face of his objections, and others denounced it as stupid and senseless. Yet the majority complied with the experimental commands” (1963, S. 376).

Kann der übergesetzliche Notstand den Piloten motivieren, das Flugzeug zum Absturz zu bringen? Eine genaue Antwort im Hinblick auf zukünftige menschliche Handlungen ist nicht zu erwarten, aber es kann trotzdem über die Wahrscheinlichkeit einer Handlung nachgedacht und gesprochen werden. Angesichts der Tatsache, dass das zum Absturz-Bringen eines Flugzeuges rechtswidrig ist; dass Piloten verpflichtet sind, Befehle nicht zu befolgen, wenn diese die Befolgung eine Straftat mit sich bringen würden; sowie das Hauptergebnis des Milgrams-Experiments, d.h. die Identifizierung der menschlichen Tendenz, Autoritäten mehr zu folgen als den eigenen Überzeugungen (in diesem Zusammenhang ist das Recht selbst als Autorität zu identifizieren, da auch wenn der Pilot einen Befehl bekommt, der rechtswidrig ist, er schon weiß, dass wegen der strafrechtlichen Natur dieses Befehls der Autor des Befehls keine Autorität mehr besitzt), sollte nicht erwartet werden, dass der übergesetzliche Notstand als ein wirkungsvolles Argument für die Rettung von vielen Menschen gut funktionieren würde.

Abschließend ist noch ein letzter Aspekt der vom Bundesverfassungsgericht vorgenommenen Behandlung des Objektifizierungs- und Instrumentalisierungsverbots zu berücksichtigen. Es wird in der Entscheidung über das Luftsicherheitsgesetz dargelegt, dass ein Mensch nie als bloßes Objekt behandelt werden darf, da die Würde des Menschen den Schutz gegen diese Art von Handlung umfasst, und weil der Ausdruck „unantastbar“ klarmacht, dass dieser Schutz keine Ausnahme erlaubt. Konsequenterweise könnten alle Normen, die eine Art von Objektifizierung oder Instrumentalisierung erlauben, als verfassungswidrige Normen verstanden werden. Wenn das aber so richtig ist, müsste man dann nicht § 35 StGB als eine verfassungswidrige Norm betrachten? Eine mögliche negative Antwort auf die Frage würde die Behauptung umfassen, dass diese Norm keine Handlung als rechtmäßig erklärt, die einen Verstoß gegen das Instrumentalisierungs- oder Objektifizierungsverbot repräsentiert, sondern nur behauptet, dass diese Handlungen unbestraft bleiben werden. Diese Antwort kann angenommen werden, aber nur solange die Bestrafung für Handlungen, die Verstöße gegen die Menschenwürde repräsentieren, so interpretiert wird, dass diese Bestrafung, sowie die strafrechtliche Normierung, die diese Bestrafung voraussetzt, keine Rolle beim Schutz der Würde des Menschen spielt. Verbindet man die Bestrafung der Angriffe gegen die Würde des Menschen mit dem verfassungsrechtlichen Ziel, die Würde des Menschen zu schützen, dann scheint es schwierig, § 35 StGB als eine verfassungsmäßige Norm zu betrachten. Das Wesentliche bei dieser Überlegung ist aber nicht, § 35 StGB als verfassungswidrige Norm zu interpretieren, sondern die Frage zu stellen, ob die von Bundesverfassungsgericht adoptierte Interpretation des Begriffes „Würde des Menschen“, die eine Kantische Orientierung zeigt, wegen der ausnahmslosen Verknüpfung der Menschenwürde mit den Instrumentalisierungs- und Objektifizierungsverboten nicht zu kontra-intuitiven Ergebnissen führt.

SCHLUSS

Das Problem bei der Verbindung kantischer Auffassungen der Würde des Menschen mit Art. 1 Abs. 1 GG liegt nicht an Kants Argumenten oder an seiner Verknüpfung der Würde des Menschen mit Objektifizierungs- und Instrumentalisierungsverboten. Das Problem stammt aus der Verknüpfung dieser philosophischen Auffassung mit einer Norm, die Ausnahmelosigkeit gebietet. Kants Instrumentalisierungsverbot kann aufgrund von empirischen Experimenten zu den Trolley-Problemen in Betracht gezogen werden, aber das Hauptproblem bei der Auslegung der normativen Bedeutung der Unantastbarkeit der Menschenwürde durch die Anwendung von Kants Philosophie liegt in der Tatsache, dass die Verbote, die Kant mit der Menschenwürde verbunden hat, von Kant nicht als absolute Verbote betrachtet wurden. Kants Auffassung des Instrumentalisierungs- und Objektifizierungsverbotes umfasst die Möglichkeit, dass in Extremfällen diese Gebote nicht beachten werden sollen. Diese Eigenschaft der Verbote, die für Kant in Verbindung mit der Würde des Menschen stehen, sollte genügen, um diese Verbote nicht mit der Eigenschaft der Ausnahmelosigkeit zu verbinden.

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WINTRICH, Josef. Über Eigenart und Methode verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung. In: Verfassung und Verwaltung in Theorie und Wirklichkeit. Festschrift für Herrn Geheimrat Professor Dr. Wilhelm Laforet anläßlich seines 75. Geburtstages. München: Isar Verlag, 1952, S. 227-249.


1 Eine wesentlich ähnliche Interpretation des Art. 1 Abs. 1 wird auch von Wintrich vertreten: „Da die Gemeinschaft sich aus freien eigenständigen Personen aufbaut, die durch ihr Zusammenwirken das Gemeinschaftsgut verwirklichen, muß aber der Mensch auch in der Gemeinschaft und ihrer Rechtsordnung immer ‚Zweck an sich selbst‘ (Kant) bleiben, darf er nie zum bloßen Mittel eines Kollektivs, zum bloßen Werkzeug oder zum rechtlosen Objekt eines Verfahrens herabgewürdigt werden” (1952, S. 227). Über die Entstehung der Verbindung des verfassungsrechtlichen Schutzes der Würde des Menschen und Kants Philosophie durch die Beiträge von Dürig und Wintrich, siehe Philipp Wallau (2010, S. 23 ff.).

2 Sensen vertritt die Auffassung, dass in Kants Philosophie „Würde“ kein Hauptbegriff, sondern als „secondary concept“ zu verstehen ist. Sensen macht deutlich, dass diese Auffassung nicht das Ziel hat, die Perspektive zu unterstützen, dass „Würde“ in Kants Philosophie keine Rolle spielt, sondern um hervorzuheben, dass die Würde des Menschen kein Grundstein in Kants praktischer Philosophie ist (siehe 2011, S. 203). Für Kant, so argumentiert Sensen, ist die Würde kein „moral fact“, von welchem man ausgehen könnte, denn für Kant ist genau das Gegenteil der Fall: „for Kant the burden of proof is on a defender of a prior value of human beings“. (2011, S. 204). Nach Sensen Interpretation würde der kategorische Imperativ als „direct command of Reason“ (2011, S. 96) und nicht die Würde als Grundstein in Kants praktischer Philosophie zählen. Dass die Menschen einen kategorischen Imperativ beachten sollen, das wäre eine Konsequenz der Tatsache, dass Menschen „moralisch-praktische Vernunft“ besitzen (siehe 2011, S. 117).

3 „Allein dieser Vertrag (contractus originarius oder pactum sociale genannt), als Coalition jedes besondern und Privatwillens in einem Volk zu einem gemeinschaftlichen und öffentlichen Willen (zum Behuf einer bloß rechtlichen Gesetzgebung), ist keinesweges als ein Factum vorauszusetzen nöthig (ja als ein solches gar nicht möglich) [...]. Sondern es ist eine bloße Idee der Vernunft, die aber ihre unbezweifelte (praktische) Realität hat” (KANT, AA VIII, S. 297).

4 Nach Quinns Auffassung wird das Prinzip der Doppelwirkung nicht in absolutem Sinn die Handlungen verbieten, die eine zweite Wirkung erzeugen, denen von den Betroffenen nicht zugestimmt wurde. Was das Prinzip verbietet, so argumentiert Quinn, ist, die Menschen als Mittel für eine Wirkung zu benutzen, sie zu instrumentalisieren. Diese Unterscheidung, die für die Behandlung des Problems des § 14 Abs. 3 LuftSiG relevant ist, wird von Quinn folgenderweise dargestellt: „Another problematic kind of case involves innocent hostages or other persons who physically get in the way of our otherwise legitimate targets or projects. Does our shooting through or running over them involve a direct intention to affect them? I think not. It is to our purpose [...] that a bullet or car move through a certain space, but it is not to our purpose that it in fact move through or over someone occupying that space. The victims in such cases are of no use to us and do not constitute empirical obstacles (since they will not deflect the missile or vehicle in question). If we act despite their presence, we act exactly as we would if they were not there” (1989, S. 345).

5 Merkel hat die Auffassung vertreten, dass die Tötung der Passagiere keinen Verstoß gegen das Instrumentalisierungsverbot repräsentiert, nur mit dem Unterschied, dass er ohne die Analogie mit Trolley-Problemen argumentiert hat. „Nicht indem (oder dadurch, dass) die Passagiere sterben, werden die Bedrohten am Boden gerettet, sondern dadurch, dass das Flugzeug abstürzt. Aber auch das Flugzeug stürzt nicht dadurch ab, dass die Passagiere sterben, sondern dadurch, dass es abgeschossen wird. Und eben dadurch sterben auch die Passagiere. Ihr Tod steht also kausal unverbunden neben dem Rettungsmittel ‚Absturz der Maschine‘; er wird zusammen mit diesem durch eine und dieselbe Handlung, den Abschuss, herbeigeführt“ (2007, S. 380). In derselben Richtung hat Kumm die Entscheidung über das zum Absturz-Bringen des Flugzeuges mit den Trolley-Problemen verbunden, aber er hat das Thema anhand des Begriffspaars „enabler“ und „disabler“. Nach dieser Auffassung ist die Tötung der Passagiere nicht ein Mittel für das Retten anderen Menschen, sie sind nicht „enabler“ für das Erreichen dieses Zieles, sondern es sind (unter konkreten Umständen) überwindbare Gründe, die gegen das zum Absturz-Bringen des Flugzeuges sprechen (siehe 2007, S. 153 ff.).

6 Sensen weist darauf hin, dass Kants Auffassung der Moralität die Idee umfasst, dass der kategorische Imperativ tatsächlich im Verhalten der Menschen identifizierbar sein kann, obwohl diese Auffassung nicht durch empirische Beobachtungen erreicht wurde (2011, S. 208). Darüber hinaus argumentiert er: Weil auch unmoralisches Verhalten identifizierbar ist, ist es nicht möglich, aus empirischen Beobachtungen eine normative Auffassung – und Kants Auffassung hat diese Natur – zu begründen (siehe 2011, S. 210-211). Solange diese Unterscheidung zwischen normativer und empirischer Auffassung angenommen wird, zählen die Ergebnisse der erwähnten Experimente nicht als Argument gegen Kant. Daraus folgt aber auch, dass Kants Auffassung keine genaue Information über den tatsächlichen Entscheidungsprozess der Menschen anbietet.

7 Zu dieser Hypothese bemerkt Dreier, dass die Annahme des § 14 Abs. 3 LuftSiG mit den Vorschriften verglichen werden könnte, die „eine eng umgrenzte Gruppe der staatlichen Gemeinschaft wie Soldaten oder Feuerwehrleute dem Todesrisiko aussetzen können. Wird hier nicht auch ein Teil der Gesamtpopulation für den Rest ‚geopfert‘? Entsprechend höhere Aufopferungspflichten lassen sich zweifelsohne daraus herleiten, daß Soldaten und Feuerwehrleute (anders als Flugzeugpassagiere) von vornherein für ihre gefahrvolle Aufgabe rekrutiert werden. Wenn dies aber wie bei der allgemeinen Wehrpflicht zwangsweise geschieht, verlagert sich die Frage dahingehend, warum ein solcher Zwang eigentlich zulässig ist“ (2007, S. 266, Fn. 65). Auch wenn es in Deutschland keine allgemeine Wehrpflicht mehr gibt, kann angesichts der Rechtmäßigkeit von Gehaltszuschlägen in Verbindung mit höherer Lebensgefahr trotzdem gefragt werden, ob diese Situation nicht als eine Art von Objektifizierung und Preisfestsetzung des Lebens interpretiert werden könnte.



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ISSN: 2178-2466